Dienstag, 22. Mai 2018

Das Grundgesetz oder LEX FUNDAMENTALIS

 Gastbeitrag von Sabine Martiny zum Tag des Grundgesetzes am 23. Mai

Im Jahr 1948 entschieden sich die Siegermächte (ohne die Sowjetunion) für einen föderalen Staatsaufbau mit internationaler Kontrolle der Montanindustrie.

Die Weimarer Verfassung von 1919 hatte es ermöglicht, dass durch das Ermächtigungsgesetz die Demokratie durch das Führerprinzip im NS-Staat ersetzt werden konnte – eine Wiederholung sollte das neue Grundgesetz verhindern.

Bis heute ist das Grundgesetz ca. 60 mal geändert worden, zum Beispiel die Wiedereinführung der Wehrpflicht, oder die Artikel 115a bis Artikel 115l (Notstandsverfassung). Sämtliche Änderungen, auch alle wieder aufgehobenen, findet man im Internet.

Am 23. Mai wird unser Grundgesetz 69 Jahre alt. Jeder einzelne Artikel des Grundgesetzes beruht ursprünglich auf einem positiven Menschenbild. Die dort verankerten Grundrechte haben aufgrund der Erfahrungen aus dem nationalsozialistischen Unrechtsstaat eine besondere Bedeutung.

Wir PIRATEN schreiben „Wir halten uns an’s Grundgesetz – da sind wir konservativ“.
Aber wie sieht es mit Regierungen und Volksvertretern aus, von denen wir erwarten können müssen, dass gerade sie sich an das Grundgesetz halten?

Das auffallendste Beispiel in Bezug auf unsere Grundrechte ist dieser großartig klingende Artikel 1

„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.“


Wenn die Feststellung „die Würde des Menschen ist unantastbar“ zuträfe, sähe dieses Land anders aus, es hätte eine internationale Strahlkraft, die es leider nicht hat.
Ob es Asylsuchende betrifft oder Hartz IV-Empfänger, die Würde wird überall mehr als nur „angetastet“, sie wird ignoriert und mit Füßen getreten.

Ein weiteres Beispiel ist der Artikel 14 (2)
„Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.”
Egal, ob es zugelassen wird, dass Konzerne ihre eigene Vorstellung davon haben, wie man Gewinne optimiert oder aus Wohneigentum der größte Nutzen gezogen wird, unsere derzeitige Regierung wie auch die Regierungen davor überlesen geflissentlich den Satz!

Einigkeit und Recht und Freiheit… komm, Millionär, und reiche dem Obdachlosen, dem Sozialhilfeempfänger, dem Bettler und dem Geflüchteten deine Hand – denn Eigentum verpflichtet – ebenso wie das Grundgesetz.

Oder aber Artikel 19 (2)
„In keinem Fall darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.“

Dieser Artikel spricht für sich selbst.

Zum Thema “Der Bund und die Länder” Artikel 21
„Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muss demokratischen Grundsätzen entsprechen.

Sie müssen über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft geben.“


Ein Transparenzgesetz wird umgangen, ein Lobbyregister tunlichst vermieden. Wer möchte schon aufgedeckt sehen, dass wir von der Automobilindustrie und anderen Konzernen regiert werden!

Oder zum Thema “Bundestag” Artikel 38
„Die Abgeordneten des Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.“

Zu diesem Artikel möchte ich nur sagen: wenn ihn jemals ein Abgeordneter verinnerlicht hat, muss das länger her sein. Die Abgeordneten aller im Bundestag vertretenen Parteien müssen, je nach Fraktion, ein ”Einheitsgewissen” haben, denn es musste jeder Abgeordnete von Bundeskanzlerin Merkel vom Fraktionszwang entbunden werden, um bei der Abstimmung “Ehe für Alle” dieses eine Mal auf das eigene Gewissen hören zu können. ­­­

Und noch einmal zurück zu unseren Grundrechten: Heute, im Jahre 2018, erscheint es mir so, dass Terror unser Weltbild bestimmt, dass Politik und Medien unsere Ängste schüren, und das ist dann wohl die Begründung, jeden Bürger – ganz ohne Unschuldsvermutung – zu überwachen und in seiner Freiheit einzuschränken.

Ein Grundgesetz kann nur Wirkung entfalten, wenn es verbindlich für alle gilt – immer und ausnahmslos. 

Sabine Martiny, Fraktionsvorsitzende ‚Die LINKE/Piraten’ im Kreistag Paderborn.

Nachsatz der Piratenpartei Niedersachsen:
Um der Bedeutung des 23. Mai als Tag des Grundgesetzes gerecht zu werden und um alljährlich die Regierenden darauf zu verpflichten, sich dessen Inhalte immer wieder bei den Entscheidungen in den Parlamenten vor Augen zu führen, setzt sich die Piratenpartei für die Schaffung eines Staatsvertrages zwischen dem Bund und den Ländern ein, der den „Tag des Grundgesetzes“ zum bundeseinheiltlichen Feiertag macht. [1]

[1] https://wiki.piratenpartei.de/Bundestagswahl_2017/Wahlprogramm#Grundrechtskonformit.C3.A4t_der_Gesetzgebung_st.C3.A4rken

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