Freitag, 28. September 2018

Antrag der Gruppe Linke & Piraten zur Ablehnung des geplanten Niedersächsischen Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes (Stadtrat Hannover)

Antrag der Gruppe Linke & Piraten zur Ablehnung des geplanten Niedersächsischen Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes

Antrag

zu beschließen:


1. Der Rat der Landeshauptstadt Hannover lehnt das gemäß Landtagsdrucksache 18/850 vom 8. Mai 2018 geplante "Niedersächsische Polizei- und Ordnungsbehördengesetz (NPOG)" ab.

2. Der Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Hannover wird aufgefordert, sich gegenüber Landesregierung und Landtag dafür einzusetzen, dass ein NPOG in der vorgesehenen Form für das Land Niedersachsen nicht beschlossen und umgesetzt wird.

Begründung

 

In Bayern wurde kürzlich bereits ein neues Polizeigesetz beschlossen, in anderen Bundesländern werden derzeit Gesetzesverschärfungen vorbereitet. Das Bundesinnenministerium plant ein „Musterpolizeigesetz“, das sich an dem Polizeiaufgabengesetz in Bayern orientieren soll, welches nach Einschätzung namhafter Rechtswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler die massivsten Grundrechtseingriffe seit dem Jahr 1945 ermöglicht.
In diese Gesetzesverschärfungs-Riege will sich nun auch Niedersachsen mit dem geplanten NPOG einreihen. Der dem Landtag vorgelegte Gesetzesentwurf enthält zahlreiche neue Regelungen, die schwerwiegende Eingriffe in die Bürger- und Menschenrechte unseres Bundeslandes legalisieren sollen.

Insbesondere soll eine starke Machtverschiebung innerhalb der Gewaltenteilung befördert werden. Die Polizei soll deutlich mehr Befugnisse erhalten, Verdächtige zu definieren, zu überwachen und festzuhalten. Fachkundige Kritikerinnen und Kritiker dieses Vorhabens von Amnesty International bis zu den in der Gewerkschaft ver.di organisierten Richterinnen und -richtern sowie Staatsanwältinnen und -anwälten monieren eine unverhältnismäßige Einschränkung verfassungsrechtlich garantierter Menschenrechte zugunsten von Polizeibefugnissen und staatlicher Überwachung. Die Polizei soll gesetzlich mit zahlreichen neuen Instrumenten ausgestattet werden, die schwerste Eingriffe in die Grundrechte von Betroffenen ermöglichen würden. Beispielsweise soll es der Polizei künftig möglich sein, präventiv Computersysteme mittels Spähsoftware zu infiltrieren, Elektroschocker gegen Menschen einzusetzen oder Menschen präventiv für bis zu 74 Tage in Gewahrsam zu nehmen.

Befürworter behaupten, die vorgesehenen Gesetzesverschärfungen würden vor allem der Terrorabwehr dienen. Eine Landtagsanhörung hat erhebliche Zweifel aufkommen lassen, dass die geplanten Maßnahmen tatsächlich dazu geeignet sind in erster Linie gegen Terroristinnen und Terroristen zu wirken und so für mehr Sicherheit zu sorgen. Vielmehr wurden begründete Bedenken dahingehend geltend gemacht, dass künftig politisch Aktive und auch sogenannte unbescholtene Menschen verstärkt ins Visier der Polizeibehörden geraten können.

Abschließend ein paar Beispiele für die vorgesehenen Einschränkungen von Grundrechten gemäß dem Gesetzentwurf:

- Die zulässigen Anwendungsfälle zum Einsatz der elektronischen Fußfessel werden ausgeweitet, die in diesem Zusammenhang erfassten sehr sensiblen Daten des „Gefesselten“ werden nicht mehr als besonders sicherungswürdig bewertet. (§ 17c Abs. 1 und 3)

- Die Videoüberwachung von Gefangenen wird nicht nur eingeführt, sondern deren Begründungskatalog inhaltlich wesentlich erweitert, persönlichkeitsrechtlich höchst fragwürdig. (§ 20 Abs. 4)

- Der Zeitraum richterlich begründeter Untersuchungshaft für unbestimmte Fälle wird von vier auf sechs Tage erhöht. (§ 21)

- Deutliche Reduzierung der Bedingungen, unter denen die Polizei die Herausgabe von Aufzeichnungen privat oder gewerblich betriebener Videoüberwachungskameras erzwingen kann. (§ 32a Abs. 1)

- Erleichterung der Bedingungen, unter denen eine Telekommunikations-Überwachung (Abhören von Telefonen, Abfangen von E-Mails, Mitlauschen und -lesen von Chats und Messenger-Nachrichten) zulässig sein soll. (§ 33a Abs. 1)

- Ebensolche Erleichterungen der Bedingungen, unter denen der große Lauschangriff auf Wohnungen (Abhören mittels Wanzen & Co.) zulässig sein soll. (§ 35a Abs. 1)

- Einfügung einer Ausschlussklausel, nach welcher der Einsatz von verdeckt, also heimlich agierenden Polizeibeamten unter bestimmten, möglicherweise dehnbaren Bedingungen nicht mehr durch eine Richterin oder einen Richter genehmigt werden muss. (§ 36 Abs. 2)

- Streichung der sinnvollen Klausel, wonach Menschen, die bereits bekundet haben, aus einer kriminellen Szene aussteigen zu wollen und ein entsprechendes Ausstiegs- Angebot der Behörden angenommen haben, grundsätzlich nicht mehr als V-Leute angeworben oder eingesetzt werden dürfen. (§ 36 Abs. 5)

- Gänzliche Streichung von Regularien und Bedingungen, die zur „Führung“ von verdeckten Ermittlern (weiterhin Polizeispitzel genannt) angedacht gewesen sind. (§ 36 Abs. 6)

- Ebenso vollständige Streichung der Vorgabe, dass Polizeispitzel, die im Verdacht stehen, im Zuge ihrer Spitzeltätigkeit eine „Straftat von erheblicher Bedeutung“ begangen zu haben, nicht weiter als Spitzel eingesetzt („in Anspruch genommen“) werden dürfen. (§ 36 Abs. 7)

- Einfügung der neuen Erlaubnis für die Polizei, V-Leute im Einzelfall sogar ohne (vorherige) richterliche Genehmigung einsetzen zu dürfen. (§ 36a Abs. 4)

- Künftig soll nicht (mehr) festgehalten werden, ob Rasterfahndungen zu einem Ergebnis geführt haben oder nicht. (§ 48 Abs. 1)

- Der Einsatz von Tasern (Elektroschocker-Pistolen, im Behördendeutsch verniedlichend als „Elektroimpulsgerät“ bezeichnet) wird nicht nur ausdrücklich erlaubt, sondern soll durch eine Neuordnung der Reihenfolge polizeilicher Waffen sogar als erstes einzusetzendes Mittel noch vor dem Schlagstock definiert werden. (§ 69 Abs. 4


Dirk Machentanz
Vorsitzender

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