Freitag, 3. August 2018

Anfrage Einsatz von glyphosathaltigen Herbiziden durch die Deutsche Bahn AG auf der Gleisstrecke im Stadtbezirk Ricklingen

Landeshauptstadt Hannover

Antwort 15-0128/2018 F1

An den Stadtbezirksrat Ricklingen (zur Kenntnis)
Zu Top 6.4.1.



Antwort der Verwaltung auf die
Anfrage Einsatz von glyphosathaltigen Herbiziden durch die Deutsche Bahn AG auf der Gleisstrecke im Stadtbezirk Ricklingen
Sitzung des Stadtbezirksrates Ricklingen am 01.02.2018
TOP 6.4.1.


65,4 Tonnen Glyphosat hat die Deutsche Bahn AG (DB) im Jahr 2017 verbraucht und ist damit mutmaßlich größter Einzelabnehmer des umstrittenen Unkraut-Vernichtungsmittels in Deutschland. Es werde zur „chemischen Vegetationskontrolle“ auf dem Schienennetz ausgebracht, heißt es aktuell in einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage im Deutschen Bundestag.
Knapp 34.000 Kilometer umfasst das DB-Schienennetz. Die von der Bahn ausgebrachte Glyphosatmenge entspricht somit durchschnittlich fast 2 Kilogramm je Kilometer Gleisstrecke. Eine Eisenbahnstrecke führt direkt durch das innerstädtische Naherholungsgebiet „Ricklinger Kiesteiche“ mit den EU-registrierten Badegewässern. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (European Food Safety Authority - EFSA) hat 0,5 mg/kg/Tag als maximal verträgliche Dosis (acute reference dose) bei Menschen ermittelt. Wissenschaftlich umstritten ist, wie stark der menschliche Körper Glyphosat nach den unterschiedlichen Darreichungsformen (z.B. Inhalation, Hautkontakt oder durch das Grundwasser) resorbiert. Es ist daher (noch) nicht möglich eindeutig zu bestimmen, wie viele Menschen in unserem Stadtbezirk bei einer angenommenen Ausbringung des Bundesdurchschnitts von knapp 2 KG je Gleiskilometer und Jahr durch eine gefährliche Dosis Glyphosat potenziell gefährdet sein könnten. Folglich ist nach dem europaweit geltenden Vorsorgeprinzip große Vorsicht geboten.

Vor diesem Hintergrund frage ich die Verwaltung:
1. Wie lang ist das Schienennetz der Deutschen Bahn AG im Stadtbezirk Ricklingen?
2. Welche Mengen glyphosathaltiger Herbizid-Lösungen wurden durch die Deutsche Bahn AG bzw. in deren Auftrag auf der Gesamtstrecke oder auf Teilstrecken innerhalb des Stadtbezirks Ricklingen in den letzten fünf Jahren ausgebracht?
3. Gibt es Untersuchungen, inwieweit Glyphosat während der Ausbringung z.B. durch Luftzirkulation in das hannoversche Naherholungsgebiet getragen wird und/oder über das Grundwasser in die Badeteiche gelangt und wie hoch ggf. die jeweiligen Konzentrationen sind bzw. davon ggf. eine Gefährdung ausgeht? Wenn Nein: Sind Untersuchungen dazu geplant oder bereits in Auftrag gegeben?

Antwort der Verwaltung 

 Die Beantwortung der Fragen kann nicht abschließend durch die Landeshauptstadt Hannover erfolgen. Die Anfrage ist an die Deutsche Bahn und die Region Hannover weitergeleitet worden. Die Antworten werden schriftlich nachgereicht.

Antwort der Deutschen Bahn AG zu den Fragen 1 und 2:
Die ortsspezifische Fragestellung wird zuerst in einen größeren Zusammenhang eingeordnet.
Die Freihaltung des Gleisbereichs von Vegetation ist für alle Schieneninfrastrukturbetreiber von hoher Bedeutung, um die auf die hohen Belastungen ausgerichteten Eigenschaften des Oberbaus zu erhalten und die Betriebs- und Arbeitssicherheit zu gewährleisten.

Die Deutsche Bahn AG ist im Rahmen der chemischen Vegetationskontrolle ein Anwender von Herbiziden. Die Entwicklung von Pflanzenschutzmittelprodukten, zu denen auch Herbizide gehören, wird von der chemischen Industrie betrieben. Die Zulassung erfolgt durch das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL). Dieses bindet das Bundesamt für Risikobewertung (BfR), das Umweltbundesamt (UBA) sowie das Julius Kühn-Institut (JKI) als Fachbehörden in die Entscheidungsfindung ein. Mit der Zulassung werden Anwendungsbestimmungen für die jeweiligen Produkte festgelegt, die bei der Ausbringung zu befolgen sind.

Aufbauend auf der allgemeinen Zulassung des BVL muss die DB die konkreten Einzelanwendungen streckenbezogen vom Eisenbahn-Bundesamt (EBA) genehmigen lassen. Das EBA wiederum bezieht in seine Entscheidungsfindung die zuständigen Landesbehörden ein, die ggf. über die Zulassung hinausgehende Auflagen erteilen können.

In der Vergangenheit hat die DB thermische (Heißdampf und Infrarot) und mechanische (Saugrechen) Verfahren getestet. Diese Alternativen wurden auf Grund des hohen Energieverbrauches, der nicht-selektiven Wirkung auf alle Organismen (z.B. auch Eidechsen) und der sehr langsamen Arbeitsgeschwindigkeit, und der damit verbundenen Sperrung von Gleisen, als nicht umsetzbar bewertet. Eine Evaluation der bestehenden Alternativen durch die UIC (Weltverband der Eisenbahnen) ergab, dass sich die Technik seither nicht nennenswert weiterentwickelt hat.
Daher suchen die europäischen Bahnen nach neuen Methoden. Über die Ergebnisse tauschen sich die Bahnen aus. Es gibt Forschungen zu Abdeckverfahren, UV-Technik und elektrischen Unkrautbekämpfung.
Die Umsetzbarkeit zur Vermeidung chemischer Substanzen zur Unkrautbekämpfung hängt von den weiteren Entwicklungen alternativer Verfahren ab. Die ökologischen Auswirkungen thermischer Verfahren auf alle Lebewesen im Schotterbett, sowie der hohe energetische Aufwand oder die Substitution von schädlichen Substanzen durch organische Säuren, müssen dabei ebenso bewertet werden wie die betrieblichen Anforderungen an die Arbeitsgeschwindigkeit.

Wir sehen daher das Risiko, dass ein überstürztes Glyphosatverbot zur Substitution durch Substanzen führt, die nicht zweifelsfrei umweltfreundlicher sind.

Die Gleisanlagen der Deutschen Bahn AG stellen einen wertvollen Lebensraum für Reptilien, insbesondere Eidechsen dar, weil dieser Bereich von Vegetation freigehalten wird. Während die Tiere die mechanisch gepflegten Böschungsbereiche als Schutz aufsuchen, werden die offenen Gleisschotter als Sonnen- und Jagdhabitate genutzt. Dieses Verhalten der Tiere führt dazu, dass wir bei zahlreichen Oberbauerneuerungen umfangreiche artenschutzrechtliche Schutzmaßnahmen durchführen.

Im Jahr 2016 wurden dafür auf den 61.000 km langen Gleisen der Deutschen Bahn AG auf 56.289 km insgesamt 67.647 l Glyphosat eingesetzt. Dies entspricht ca. 0,15 Prozent der in Deutschland ausgebrachten Herbizidmengen. In 2017 wurden auf 56.019 km Gleisanlagen insgesamt 65.398 l Glyphosat eingesetzt.

Nach dieser allgemeinen Einführung folgt die ortsspezifische Antwort. Für die Bahnstrecken rund um den Stadtbezirk Ricklingen sind folgende Zuordnungen zu treffen:

Zu Frage 1:
Im Stadtbezirk Ricklingen gibt es eine Gleislänge von ca. 10 km

Zu Frage 2:
Der Gleisrost selber war während der Behandlung der genannten Strecken sehr sauber, so dass eine durchgehende Behandlung nur auf den sogenannten "Randwegen" erfolgte. Diese Information ist von Bedeutung, da die glyphosathaltigen Pflanzenschutzmittel Blattherbizide sind und nur auf vorhandenen Pflanzen ausgebracht werden und somit also keine flächendeckende Ausbringung der Mittel erfolgt.

Die glyphosathaltigen Produkte werden von unseren Spritzzügen im Gleisrost über Sensoren nur auf vorhandenen Pflanzen ausgebracht, im Bereich der Schotterflanke und des Randweges übernehmen diese Funktion die Mitarbeiter*innen auf den Spritzzügen. Dies wird sich mittelfristig ändern, da eine videogesteuerte Technik zum Einsatz kommen wird.

Es wurden ca. 18,2 Liter glyphosathaltige Pflanzenschutzmittel auf den Strecken im Jahr 2017 ausgebracht. Der Anteil des Wirkstoffs an Pflanzenschutzmittel beträgt 36%, so dass im Stadtbezirk im letzten Jahr ca. 6,6 I Glyphosat verwendet worden sind.

Bezügliche der Frage nach den Mengen glyphosathaltiger Herbizid-Lösungen der letzten fünf Jahre muss mitgeteilt werden, dass eine detaillierte jahresbezogene Mengenermittlung sehr aufwendig ist und wie erfragt nicht geleistet werden kann. Allerdings konnte überschlägig ermittelt werden,dass in den letzten fünf Jahren die Gesamtmengen im Vergleich zu 2017 um nicht mehr als +/-20% schwanken.

Antwort der LHH zu Frage 3: Es gibt seitens der Stadtverwaltung keine Untersuchungen darüber, inwieweit Glyphosat durch bzw. während der Ausbringung auf Gleisanlagen in das Naherholungsgebiet der Ricklinger Teiche oder in das Grundwasser eingetragen wird. Die Stadt betreibt seit 2003 ein qualitatives Grundwassermonitoring. In dem aus 73 über das Stadtgebiet verteilten Grundwassermessstellen (GWM) bestehenden sogenannten Grundmessnetz wird die „Hintergrundbelastung“ des Grundwassers in Hannover erfasst, also die durch die natürlichen Standortgegebenheiten sowie diffuse Stoffeinträge beeinflusste Qualität. Die Überwachung von Grundwasserschäden oder möglicherweise grundwassergefährdenden Nutzungen obliegt der Region Hannover als zuständiger Behörde.

Im Rahmen des Grundwassermonitorings wurde bisher dreimal (2003, 2007, 2011) auch auf Glyphosat und dessen Abbauprodukt Aminomethylphosphonsäure (AMPA) untersucht. In seltenen Fällen wurde Glyphosat nachgewiesen. Meistens wurde bei Positivbefunden das Abbauprodukt AMPA angetroffen, das allerdings auch beim Abbau anderer Substanzen entsteht und deshalb nicht sicher auf einen ursprünglichen Eintrag von - 4 - Glyphosat zurückgeführt werden kann. Insgesamt lässt sich feststellen, dass Befunde von Pflanzenschutzmitteln unsystematisch über das Stadtgebiet verteilt sind, es lassen sich daraus keine Rückschlüsse auf deren konkrete Eintragsorte ableiten. Im Bereich der Ricklinger Kiesteiche befindet sich eine GWM aus dem Grundmessnetz. Der Gehalt an Glyphosat lag in dieser GWM jeweils unterhalb der Bestimmungsgrenze. AMPA konnte einmal (in 2007) in einer Konzentration von 0,23 µg/l nachgewiesen werden.

Antwort Region zu Frage 3: Ergänzung zu den Ausführungen des FB Umwelt und Stadtgrün: Die vom FB Umwelt und Stadtgrün dargelegten Feststellungen im Rahmen des städtischen Grundwassermonitoring ergaben – wenn überhaupt – nur Nachweise im Spurenbereich ( Mikrogramm). Wie vom Anfragenden in seiner Vorbemerkung selbst dargestellt liegen die gesundheitlich begründeten Beurteilungswerte der EFSA um mehrere Größenordnungen darüber (Milligramm). Für die EU-Badegewässer sieht der FB Gesundheit als Überwachungsbehörde für die Badestellen somit keinen Anhalt für eine mögliche Gesundheitsgefährdung und entsprechend keinen Anlass für weitergehende Untersuchungen.


18.63.09.BRB / 67 / Region Hannover /
Deutsche Bahn AG
Hannover / 29.01.2018



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