Freitag, 27. Juli 2018

Anfrage Stick(stoffdi)oxid-Belastung im Stadtbezirk Ricklingen

Landeshauptstadt Hannover

Antwort 15-2280/2017 F1

An den Stadtbezirksrat Ricklingen (zur Kenntnis)
Zu Top 6.3.1.


Antwort der Verwaltung auf die
Anfrage Stick(stoffdi)oxid-Belastung im Stadtbezirk Ricklingen
Sitzung des Stadtbezirksrates Ricklingen am 21.09.2017
TOP 6.3.1.


In der Europäischen Union gelten für NOx Grenzwerte, deren Nichteinhaltung Bußgelder von bis zu 10.000 Euro pro Tag nach sich ziehen können. Die Hannoverschen Allgemeinen Zeitung berichtete am 2. März 2017 *, der bis dato bestehende Luftreinhalte- bzw. Luftqualitätsplan habe die NOx-Werte nicht unter die geforderte EU-Obergrenze drücken können. Deshalb erarbeite das Umweltamt der Landeshauptstadt noch im Frühjahr 2017 einen neuen Luftreinehalteplan. Außerdem wird in dem HAZ-Artikel über „Passivsammler“ zur Messung des Stickstoffdioxidgehaltes u.a. in der Friedrich-Ebert-Straße und in der Bornumer Straße berichtet. Bis heute scheint der angekündigte neue Luftreinhalteplan nicht finalisiert bzw. ist zumindest nicht öffentlich einsehbar. Laut verschiedener Presseartikel sollen deswegen in Hannover bereits Klagen in Vorbereitung sein, in deren Folge höchstwahrscheinlich Fahrverbote für Dieselkraftfahrzeuge unumgänglich wären.


Vor diesem Hintergrund frage ich die Verwaltung:
1. Wer trüge die Haftung, wenn aufgrund überlanger Bearbeitungsdauer bei der Erstellung eines neuen Luftreinhalteplanes Buß- oder Strafgelder verhängt würden?
2. Ist der angekündigte neue Luftreinhalteplan bereits fertiggestellt bzw. wann wird dies der Fall sein, wo ist er einsehbar bzw. wird er einsehbar sein und was unternimmt die Verwaltung zusätzlich zum bestehenden Luftreinhalteplan, um Schaden von den Bürgern des besonders stark belasteten Stadtbezirks Ricklingen abzuwenden und ggf. drohenden gerichtlichen Fahrverboten entgegen zu wirken?
3. Wo sind die Passivsammler in der Friedrich-Ebert-Straße und in der Bornumer Straße platziert, wo können die Messwerte eingesehen werden und an wie vielen Tagen sind die EU-Grenzwerte für NOx in den vergangenen 12 Monaten (Zeitraum: 1. September 2016 bis 31. August 2017) überschritten worden?


Antwort der Verwaltung
Zu Frage 1: Im Zusammenhang mit der Fragebegründung wird die Anfrage zu 1. dahin verstanden, wer im Falle einer vom Europäischen Gerichtshof wegen Nichteinhaltung der EU-Vorgaben zu den Stickoxid-Grenzwerten (vgl. Richtlinie 2008/50/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2008 über Luftqualität und saubere Luft für Europa) verhängten Sanktionen (Zwangsgeld bzw. Pauschalbetrag) zu haften hätte.

Grundlage einer solchen Sanktion wäre ein Vertragsverletzungsverfahren gem. Art. 258, 260 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union, der Europäischen Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland.

Das Vertragsverletzungsverfahren ist mehrstufig aufgebaut. Zunächst hat die Europäische Kommission ein Vorverfahren durchzuführen, um den eigentlichen Streitgegenstand festzulegen. Innerhalb des Vorverfahrens kann es noch zu einer außergerichtlichen Einigung kommen. Die Kommission eröffnet das Vorverfahren mit einem Mahnschreiben an den jeweiligen Mitgliedstaat. In der Regel tauschen die Kommission und der Mitgliedstaat dann über einen längeren Zeitraum verschiedene Schriftstücke aus. Gelangt die Kommission zu dem Fazit, ein Staat komme seinen Verpflichtungen nach dem Unionsrecht nicht nach, gibt sie eine begründete Stellungnahme ab.
Neben einer Begründung, warum die Kommission der Ansicht ist, der Mitgliedstaat verstoße gegen Unionsrecht, enthält die begründete Stellungnahme eine förmliche Aufforderung, innerhalb einer bestimmten Frist den Verstoß abzustellen.
Kommt der Mitgliedsstaat diesem nicht nach, kann die Kommission den Europäischen Gerichtshof (EuGH) mit dem Fall befassen.
Ca. 95 % der Fälle werden in der Praxis allerdings geklärt, ohne dass der Gerichtshof mit dem Fall befasst werden muss.
Der EuGH prüft die vorgetragenen Tatsachen der Kommission und stellt fest, ob sich aus den von der Kommission vorgetragenen Tatsachen ein Verstoß gegen das Recht der Europäischen Union ergibt, sowie ob der Mitgliedstaat innerhalb der Frist eine Übereinstimmung mit dem Unionsrecht hergestellt hat. Die EU-Kommission kann den Gerichtshof ersuchen, bereits in einem ersten Urteil Sanktionen gegen den Mitgliedstaat zu verhängen.
Kommt ein Mitgliedstaat dem Urteil des EuGH nicht nach, kann die Kommission ein weiteres Vertragsverletzungsverfahren einleiten, in dem der Gerichtshof sodann Sanktionen verhängen kann. Vor der Befassung des EuGH ergeht bei einem zweiten Vertragsverletzungsverfahren nur ein Mahnschreiben. Die Sanktionen werden von der EU-Kommission vorgeschlagen. Der EuGH ist bei einer zweiten Verurteilung an den Vorschlag nach oben nicht gebunden.

Laut der Europäischen Kommission werden in der gesamten Europäischen Union in mehr als 130 Städten sowie in 23 von 28 Mitgliedstaaten die rechtlichen Vorgaben für die Luftqualität noch nicht eingehalten. Es wurden bereits Vertragsverletzungsverfahren gegen mehrere Mitgliedsstaaten der Europäischen Union eingeleitet. Im Februar 2017 teilte die Kommission mit, ein letztes Mahnschreiben an Deutschland, Frankreich, Spanien und das Vereinigte Königreich gerichtet zu haben. Zu den 28 von der Kommission gelisteten Luftqualitätsgebieten in Deutschland, in denen anhaltend gegen die NO2 -Belastung verstoßen wird, gehört die Landeshauptstadt Hannover aktuell nicht.

Für eine vom EuGH verhängte Sanktion müsste der Bund, der für die Bundesrepublik Deutschland allein außenvertretungsberechtigt ist. Ein Regress des Bundes bei der Landeshauptstadt Hannover bzw. bei den im Bundesgebiet betroffenen Kommunen ist rechtlich nicht möglich.
Denkbar wäre, dass der Bund versuchen könnte, die betroffenen Bundesländer in Anspruch zu nehmen. Für den Regress eines in Anspruch genommenen Bundeslandes gegenüber einer Kommune fehlt es in Niedersachsen an dem erforderlichen Landesgesetz.

Zu Frage 2: Eine Version der Fortschreibung des Luftqualitätsplans ist bereits fertiggestellt - 3 - und wird mit dem niedersächsischen Umweltministerium abgestimmt. Im Rahmen der Fortschreibung des Luftqualitätsplans werden sowohl die bereits laufenden Maßnahmen beschrieben, als auch alle neuen denkbaren Maßnahmen diskutiert und anhand der Umsetzbarkeit und Wirksamkeit zur Minderung der NO2 -Minderung in den Hauptverkehrsstraßen bewertet.
In der Sitzung des Ausschuss für Umweltschutz und Grünflächen (AUG) am 16.10.2017 wird die Verwaltung über die geplanten und bereits in Umsetzung befindlichen Maßnahmen berichten.

Zu Frage 3: Die NO2 -Passivsammler sind an Laternenmasten angebracht worden und befinden sich in der Friedrich-Ebert-Straße etwa in Höhe der Hausnummer 56 auf der westlichen Straßenseite und in der Bornumer Straße in Höhe der Hausnummer 8 auf der nördlichen Straßenseite.
Die Messwerte können auf der Webseite des Niedersächsischen Umweltministeriums eingesehen werden (www.mu.niedersachsen.de). Sie sind in den Jahresberichten des Lufthygienischen Überwachungssystems Niedersachsen (LÜN) veröffentlicht. 2016 lagen die mit den Passivsammlern ermittelten NO2 -Jahresmittelwerte bei 55 mcg/m³ in der Friedrich-Ebert-Straße und 50 mcg/m³ in der Bornumer Straße.
Für NO2 wurde von der EU kein Tagesmittelgrenzwert festgelegt. Daher kann keine Anzahl von Überschreitungstagen für den angefragten Zeitraum genannt werden.
Dagegen wurde ein Grenzwert für das Stundenmittel festgelegt. Dieser Grenzwert beträgt 200 mcg/m³ und darf nur 18 Mal pro Jahr überschritten werden.
Seit 2008 ist der Wert von 200 mcg/m³ zu keiner Stunde überschritten worden.


18.63.09.BRB
Hannover / 20.09.2017





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